Kein Weg zurück, nur der Weg der Erneuerung
Erstmalig kommen die katholischen Kirchen aller Länder Europas zusammen, um am selben Ort dieselben Fragen zu diskutieren. Am 5. Februar 2023 startete die europäische synodale Versammlung in Prag. 39 Delegationen haben Gelegenheit, die Positionen, Hoffnungen und Forderungen aus der Perspektive ihrer Herkunftsländer zu präsentieren. Wird sich an der fehlenden Inklusion und Gleichberechtigung der römisch-katholischen Kirche etwas ändern? Fest steht: Der Synodale Prozess hat einen Stein der Erneuerung ins Rollen gebracht hat, der nicht mehr aufzuhalten ist.
Wind of Change oder laues Lüftchen?
Die Erwartungen an eine inklusive Kirche sind auf dem Tisch. Viele davon werden seit Jahrzehnten von reformorientierten Katholik:innen gebetsmühlenartig wiederholt. Der für die katholische Kirche ungewöhnlich partizipative Synodale Prozess lässt verloren geglaubte Hoffnungen wieder aufleben. SKF-Präsidentin Simone Curau-Aepli ist sich sicher: «Weltweit sind Menschen nicht mehr bereit, sich zu äussern und dann nicht gehört zu werden. Viele haben sich daher schon innerlich verabschiedet oder sind gar ausgetreten. Es wird sich so oder so vieles in den nächsten Jahren verändern – die Frage ist nur, in welche Richtung.»
Schockierender Polizeieinsatz
Für die Thurgauerin ist die Vielfalt eine grosse Stärke der lebendigen, katholischen Glaubensgemeinschaft weltweit, die «nicht weiter der dogmatisch verordneten, vermeintlichen Einheit einer Institution geopfert werden darf.» So verlockend der Wind des Wandels in Prag anmuten mag, schlägt jenen, die die Konferenz verfolgen, hier und da ein unverkennbar klerikales Lüftchen entgegen. Während im Tagungshotel vom Schmerz der Ablehnung und des Missbrauchs gesprochen wird, wird ein schwuler Katholik, der im Foyer Flyer mit der Geschichte seiner Ablehnung und seiner Missbrauchserfahrung verteilt, von der Polizei abgeführt – gerufen von einer Mitarbeiterin des Prager Synodenbüros. Während einerseits zahlreiche Delegierte in ihren Voten radikale Inklusion von Queers fordern, hält der scheidende Kurienkardinal Ouellet eine Predigt, die homosexuelle Beziehungen als sündhaft diffamiert. Wie war das mit dem Zuhören?
Zwischen Frust und Bereicherung
Mentari Baumann, Mitglied der Schweizer Online-Delegation, hat gemischte Gefühle: In der Arbeitsgruppe mit Delegierten der anderen Länder habe die lesbische Geschäftsführerin der «Allianz Gleichwürdig Katholisch» Menschen angetroffen, die sich mit viel Herz und Verstand für eine glaubwürdige katholische Kirche einsetzen und einen strukturellen Wandel herbeisehnen. Baumann traf in den letzten Tagen aber auch auf «Menschen, die Veränderung fürchten. Menschen, die aus Überzeugung gegen eine partizipative Kirche sind. Und auf einen Kardinal, der in seiner Predigt vor allen Anwesenden und in einer weltweiten Live-Stream-Übertragung Menschen wie mich als Sünder:innen bezeichnet».
Ungewissheit bis zum Schluss
Die Schweiz nimmt mit drei Delegierten an der Europäischen Synodalversammlung vor Ort und mit zehn weiteren Online-Delegierten, die aus Wislikofen virtuell mitwirken, teil. Der genaue Ablauf der mehrtägigen Tagung ist trotz Programm ein Mysterium. So ist das Abschlussdokument zwar für den 9. Februar traktandiert, ob über dieses aber in Form einer gemeinsamen Abstimmung von den Delegierten verabschiedet wird, ist unklar. Ebenso in den Sternen steht, ob – im Falle einer Abstimmung – alle Delegierten, nur die Delegierten vor Ort oder – wie bei bisherigen Synoden – nur die Bischöfe ein Stimmrecht erhalten. Diese Ungewissheit ist insofern kaum auszuhalten, weil im zweiten Teil der synodalen Versammlung vom 10. bis 12. Februar ausschliesslich die 39 Vorsitzenden der europäischen Bischofskonferenzen in Europa tagen werden. Sollte sich herausstellen, dass über das Schlussdokument nicht gemeinsam abgestimmt wird, nur geweihte Delegierte abstimmen dürfen oder die Bischöfe den zweiten Teil der Tagung dazu nutzen, um hinter verschlossenen Türen unter sich entscheiden, was ins Abschlussdokument kommt, wäre das ein Schlag ins Gesicht und würde den Synodalen Prozess zu einer Farce degradieren.
Von (un)gewollter Symbolik
Eine klerikale Brise weht auch durch die Sitzordnung des Prager Plenarsaals, denn die ersten Reihen sind für Bischöfe reserviert. Es bleibt zu hoffen, dass die mangelnde Sensibilität für Symbolik sich nicht im Verlauf des Synodalen Prozesses niederschlägt. Als am dritten Tag die Schweizer Delegation zur Präsentation ihres Votums aufgerufen wird, treten zwei Frauen ans Mikrofon. Symbolträchtig überlässt Bischof Felix Gmür seinen Delegationskolleginnen die Bühne. Es sind Tatjana Disteli, Generalsekretärin der Römisch-Katholischen Kirche im Kanton Aargau und Helena Jeppesen-Spuhler, Mitarbeiterin von Fastenaktion und Mitglied der Steuergruppe der «Allianz Gleichwürdig Katholisch». Was die beiden Schweizerinnen vortragen, ist das Ergebnis monatelanger Vorbereitungen, Befragungen, Diskussionen mit verschiedensten Menschen und zahlreichen Gremien. Zwei Kernbotschaften kristallisieren sich heraus.
- Die floskelhaft beschworene «Partizipation aller» kann nur mit gleichberechtigtem Zugang der Frauen zu Ämtern und Entscheidungsfunktionen erreicht werden.
- Die gelebten Erfahrungen mit synodalen Strukturen des dualen Systems in der Kirche Schweiz bieten als (wenngleich nicht perfektes) Best Practice Modell grosses Potenzial für die Weltkirche.
Am vierten Tag der Synode in Prag wird Irme Stetter-Karp, Mitglied der Deutschen Delegation, aufgerufen. Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken ZdK verzichtet aber auf den Gang zur Bühne. Dies, weil sie «aus der Mitte des Volkes Gottes» sprechen wolle. Sie entschuldigt sich zunächst dafür, dass sie «klar und konturiert zur Frauenfrage» sprechen werde und setzt dann an: Die «sture Beharrung auf der dualen Anthropologie und das Festzurren von Frauen auf den Raum ausserhalb der Weiheämter» treibe Frauen aus der Kirche hinaus. «Es muss schief gehen, wenn Frauen aus dem 21. Jahrhundert mit Antworten aus dem vorletzten Jahrhundert abgespeist werden», sagt die Deutsche entschlossen.
Simone Curau-Aepli ist zuversichtlich, dass sich der Wunsch nach Zugang zu Weiheämtern für Frauen nicht nur an der europäischen synodalen Versammlung herauskristallisieren werde, sondern auch an den Synoden der anderen Kontinente. «Wenn diese Forderung sich bis oder an der Weltsynode jedoch nicht in voller Deutlichkeit niederschlägt, was eine weitere Bearbeitung dieses Themas verunmöglicht, ist der synodale Prozess für mich gescheitert», mahnt die SKF-Präsidentin.
Vielstimmige Voten
Die den Delegationen mit auf den Weg gegebenen Bedürfnisse sind vielstimmig. Sie stützen sich allesamt auf drei Fragen, die jedes Land in der Auseinandersetzung mit dem Arbeitspapier für die kontinentale Phase der Synode beantwortete. Der so entstandene Bericht der katholischen Kirche in der Schweiz, dessen Quintessenz die Schweizer Delegation in Prag vortrug, beinhaltete Antworten auf folgende Fragen.
- Welche Inhalte des Dokuments stehen am intensivsten im Einklang mit den konkreten Erfahrungen der Schweizer Kirche?
- Welche wesentlichen Spannungen sind aus Sicht der Schweizer Kirche besonders wichtig?
- Welche Themen und Handlungsaufforderungen sollen auf der ersten Sitzung der Synodenversammlung im Oktober 2023 diskutiert werden?
In das Schweizer Votum flossen auch die Antworten verschiedener Organisationen ein. Der SKF wurde seiner Verantwortung als katholische Frauenorganisation gerecht. SKF-Vorstandsmitglied Iva Boutellier war an seiner Stellungnahme massgeblich beteiligt.
Vom Objekt zum Subjekt
Die Theologin sieht die Position des SKF im Schweizer Votum in Prag definitiv abgebildet. Besonders wichtig ist ihr, die Aufgaben und das Selbstverständnis des Klerus und der Amtsträger:innen neu zu denken. «Es geht darum, alle Menschen, vor allem Frauen, Kinder, Behinderte, Indigene etc. nicht als Objekte der Seelsorge durch den Klerus zu verstehen, sondern sie als selbständige Subjekte ihres Glaubens zu behandeln und auf dem Glaubens- und Lebensweg entsprechend zu begleiten», so Iva Boutellier. Auch die Reformorganisation «Allianz Gleichwürdig Katholisch», zu deren Projektgemeinschaft der SKF gehört, beteiligte sich und reichte eine allgemeine und eine Rückmeldung aus queerer Sicht ein.
Stimmrecht für Frauen
Was in der Schweiz erst seit 1971 existiert, ignoriert die römisch-katholische Kirche bis heute: das Stimm- und Wahlrecht. Bisher waren Weltsynoden immer so genannte Bischofssynoden. Nur geweihte Kleriker und (nicht-geweihte) Ordensmänner waren stimmberechtigt – obwohl es kirchenrechtlich zwischen letzteren und einer Ordensschwester keinerlei Unterschied gibt. «Die Weltsynode 2024, als Höhepunkt des weltweiten Synodalen Prozesses, ist keine Bischofssynode mehr. Die Parameter wurden neu definiert und so muss sich das auch auf die vollständige Mitsprache und das Stimmrecht auswirken», positioniert sich Simone Curau-Aepli. Auch für SKF-Co-Geschäftsleiterin Karin Ottiger ist es «unverhandelbar, dass Frauen endlich ein Stimmrecht erhalten».
Der Synodale Prozess ist, nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen offenen Fragen, ein zweischneidiges Schwert. Zu tief sitzt das Misstrauen, das viel zu lang von Missbrauchsskandalen, Vertuschung und jahrhundertelanger Ausgrenzung genährt wurde. Die Gefahr der Enttäuschung – vor allem für Frauen und Queers – schwebt wie ein Damoklesschwert über dem Synodalen Prozess.
Ich bleibe hoffnungsvoll, aber nicht naiv und richte meinen kritischen Blick nach Rom, wo die Schlussberatungen und Schlussabstimmung 2024 stattfinden werden.
Sarah Paciarelli
Sarah Paciarelli, Jahrgang 1986, studierte Soziologie und Kommunikation. Die gebürtige Berlinerin mit italienisch-polnischen Wurzeln lebt in Zürich und gestaltet die Kommunikation des Schweizerischen Katholischen Frauenbunds SKF in Luzern.
Wer ist die Schweizer Delegation?
Die Delegation der Schweiz besteht aus
- Bischof Felix Gmür, Präsident der Schweizer Bischofskonferenz
- Tatjana Disteli, Generalsekräterin der Römisch-Katholischen Kirche im Kanton Aargau
- Helena Jeppesen-Spuhler, Mitarbeiterin von Fastenaktion und Mitglied der Steuergruppe der «Allianz Gleichwürdig Katholisch».
Cristina Vonzun, Direktorin des Katholischen Medienzentrums der Südschweiz (ComEc) und Mitglied der Steuerungsgruppe der diözesanen Phase in Lugano, musste ihre Teilnahme krankheitsbedingt absagen.
Ausserdem nehmen so genannte Online-Delegierte, aus Wislikofen im Kanton Aargau zugeschaltet, teil:
- Valentina Anzini, Jugendpastoral Bistum Lugano
- Renata Asal-Steger, Präsidentin der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ)
- Mentari Baumann, «Allianz Gleichwürdig Katholisch»
- Claire Jonard, Jugendpastoral und Berufspastoral, in der Westschweiz
- Marie-Antoinette Lorwich, Theologin, Strassenpastoral
- Marjan Marku, Pfarrer, Bistum St. Gallen
- Schwester Luiza Milani, Migrationspastoral
- Malika Schaeffer – Web und soziale Medien, Kantonalkirche Waadt
- Simon Spengler, Kommunikation Web und Social Media, Katholische Kirche im Kanton Zürich
- Felix Terrier, Pfarrer, Bistum Basel
Wie läuft der Synodale Prozess ab?
Im Oktober 2021 rief Papst Franziskus alle Mitglieder der katholischen Kirche zu einer Synode zusammen und rief so Hunderttausende Versammlungen auf der ganzen Welt ins Leben. Pfarreien, Diözesen, Bischofskonferenzen, Orden, kirchliche Vereinigungen und Bewegungen sowie die Dikasterien des Vatikans äusserten sich in dieser ersten Phase des Zuhörens und Teilens. Es handelt sich hierbei um die grösste Konsultation des Volkes Gottes, die jemals stattgefunden hat!
All diese nationalen Beiträge wurden nach Rom geschickt, um dort von einer Expertengruppe nach gemeinschaftlicher Einschätzung zum «Arbeitspapier für die kontinentale Phase der Synode» zusammengefasst zu werden. Von Januar bis März 2023 werden weltweit sieben kontinentale Synodalversammlungen zusammenkommen, die Afrika, Ozeanien, Asien, den Mittleren Osten, Europa, Lateinamerika und Nordamerika repräsentieren, um den Text zu diskutieren und zu vertiefen.
Verantwortlich für die Konferenz ist der Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE). Die Europasynode in der tschechischen Hauptstadt teilt sich in zwei Phasen: Die erste dauert vom 5 bis 9. Februar mit 200 Beteiligten vor Ort sowie 390 Online-Delegierten. Ziel ist die Erarbeitung und Verabschiedung eines Abschlussdokuments. Im Anschluss, vom 10. bis 12. Februar tagen die 39 Vorsitzenden der europäischen Bischofskonferenzen in Europa. Sie werden sich mit dem Abschlussdokument befassen und planen dazu eine Stellungnahme.
0 Kommentare
Kommentar schreiben