Über Prostitution sprechen
Welchen Schutz benötigen Frauen in der Prostitution und wovor sollen Sexarbeiter:innen eigentlich geschützt werden? Diese und andere Fragen diskutierten vier Expertinnen und Publikum am jährlichen SKF-Einzelmitgliederanlass 2023 in Zürich. Die vier Expertinnen legten in interessanten Inputs ihre Perspektive dar. Beim anschliessenden Podium herrschte nicht immer Einigkeit.
Der SKF spricht sich für den Schutz von Frauen in der Prostitution aus. Prostitution ist zwar legal, aber gesetzlich auf eine Weise reguliert, die noch immer grossen Handlungsbedarf mit sich bringt. Hinzu kommt das Stigma und die Diskriminierung unter denen Sexarbeiter:innen zusätzlich leiden. Welcher Schutz ist nötig, damit Frauen in der Prostitution ein gelingendes Leben führen können? Dies diskutierten
- Rebecca Angelini, Geschäftsleiterin ProCoRe, nationales Netzwerk für die Rechte von Sexarbeiter*innen
- Magdalena Fässler, Kriminalpolizistin bei der Kantonspolizei St. Gallen
- Dr. Mira Fey, Politikwissenschaftlerin und Forscherin an der Haute école de travail social Genève (HETS)
- Dr. iur Dr. h. c. Brigitte Hürlimann, Gerichtsreporterin beim Magazin Republik (Moderation)
Wissenschaftlerin Dr. Mira Fey zeigte auf, dass es ganz unterschiedliche Verständnisse davon gibt, was Schutz von Frauen in der Prostitution bedeuten könne. Schutz als Schutz vor Ausbeutung, Menschenhandel, Gewalt, Diskriminierung und Stigma oder als Schutz davor, eine Tätigkeit auszuüben, die nicht frei gewählt ist. Je nachdem, worauf man den Fokus legt, seien verschiedene Akteur:innen und verschiedene Strategien involviert. Wichtig sei vor allem das Vertrauen in Polizei und Justiz sowie die gesetzlichen Rahmenbedingen, so die Politikwissenschaftlerin. Dabei spielten auch soziale Faktoren eine Rolle. Es sei wichtig Gewalt und Ausbeutung anzeigen zu können ohne Angst vor Stigma und Diskriminierung haben zu müssen. Polizist:innen müssten Frauen in der Prostitution hierzu mit Respekt und ohne Vorurteile entgegentreten und ihre Lebensrealitäten anerkennen ohne zu verurteilen.
«Freier müssen wissen, dass sie bei jedem Kontakt mit einem potenziellen Opfer in Kontakt sind.» (Magdalena Fässler)
Eine, die es wissen muss, ist Magdalena Fässler. Die ehemalige Pflegefachfrau hat mit 40 Jahren die Polizeischule absolviert. Seit acht Jahren ist Magdalena Fässler bei der Kantonspolizei St.Gallen tätig. Sie ist Opferbefragerin und führt Kontrollen im Rotlichtmilieu durch. Fässler geht auch Verbrechenstatbeständen nach. Sie kontrolliert Angehörige des Rotlichtmilieus und nimmt Anzeigen auf. Das Hauptproblem liegt darin, dass sich Opfer oftmals nicht trauen, Anzeige zu erstatten. Und die wenigen dieser Anzeigen führen zu einer Verurteilung. Weiterbildung und Sensibilisierung der Polizei seien sehr wichtig. Ihre Erfahrungen als Kriminalpolizistin im Kanton St.Gallen haben sie in ihrer Forderung nach einem Sexkaufverbot bestärkt. Wenn sie bei ihrer Arbeit in den Internetsexforen recherchiert und liest, wie sich «Freier dort über Frauen austauschen als seien sie Objekte», werde ihr übel.
«Persönliche Befindlichkeiten sind kein guter Ratgeber.» (Rebecca Angelini)
Die Sexarbeit löst bei uns allen sehr unterschiedliche Gefühle aus. Mitleid, Ekel, vielleicht Ablehnung. Fast alle haben eine Meinung zu Sexarbeit, fast alle haben Bilder im Kopf, wenn sie an die Sexarbeit denken. «Diese Bilder sind geprägt durch die Medien, durch rassistsiche Vorurteile oder auch durch eigene Erfahrungen von Frauenverachtung. Das beeinflusst die Diskussion rund um Sexarbeit und erschwert eine Regulierung von Sexarbeit, die Frauen schützt» stellt Rebecca Angelini, Geschäftsleiterin von der Organisation ProCoRe, fest. Die Stigmatisierung von Sexarbeiter: innen führe zu Problemen bei der Wohnungssuche, Nachteilen in Sorgerechtsfragen, sozialer Ausgrenzung und Problemen bei der beruflichen Neuorientierung. Die Folgen der Stigmatisierung erlebt Angelini auch in ihrer Arbeit mit Betroffenen, zum Beispiel in der Beratung von Müttern, die ihre Arbeit lieber geheim hielten, weil sie Angst vor der Ächtung ihrer Kinder in der Schule haben. Ein Verbot der Prostitution schütze niemanden, ist Angelini überzeugt. Weil Erfahrungen in Ländern mit Verbot zeigten, dass dort Sexarbeit weiter stattfinde, jedoch unter massiv verschlechterten Bedingungen für die Frauen.
«Beim Sonntagsbraten über den Puffbesuch reden, geht halt nicht.» (Dr. Mira Fey)
Das Stigma erschwere auch die Forschung über diejenigen, die sexuelle Dienstleistungen beanspruchen. «Wirklich repräsentativ ist die wissenschaftliche Untersuchung von Freiern ja nicht, den auch hier greift das Tabu», so Wissenschaftlerin Fey. Als Mira Fey die Frauen im Publikum darüber informiert, dass statistisch gesehen jeder fünfte Mann schon mal sexuelle Dienstleistungen gegen Entgelt in Anspruch nahm, wird es kurz still im Saal. Die Stille wird durch ein Raunen unterbrochen, als die Politikwissenschaftlerin hinzufügt: «Auch Sie kennen statistisch gesehen mindestens einen Freier». Gleichzeitig seien statistische Aussagen schwierig, weil das Tabu den Zugang zu Betroffenen erschwere, erklärt sie. Was die Forschung ergibt ist, dass Rechtsunsicherheit die Wahrscheinlichkeit von Ausbeutung und Menschenhandel erhöhe.
«Der Schweizer Flickenteppich führt zu Rechtsunsicherheit.» (Sarah Paciarelli)
«Die Prostitutionsgesetze und gesetzlichen Rahmenbedingungen der Kantone sind sehr unterschiedlich», so Sarah Paciarelli (Kommunikation, Bildung und Politik SKF), die den Anlass gemeinsam mit SKF-Co-Geschäftsleiterin Karin Ottiger verantwortete. Nur elf Kantone haben Prostitutionsgesetze. In Genf, wo Dr. Mira Fey lebt und forscht, braucht die Polizei zum Beispiel keinen Haftbefehl, um eine Kontrolle durchzuführen. Sie kann Präsenz zeigen und Vertrauen aufbauen. Kontrollen sind dort an der Tagesordnung. Man kennt sich im Milieu. Im Kanton St.Gallen hingegen, wo Kriminalpolizistin Fässler Kontrollen auch in privaten Etablissements durchführt, braucht es einen Hausdurchsuchungsbefehl. Diesen gibt es nur bei konkretem Verdacht auf eine Straftat. Die Möglichkeiten der Einflussnahme durch die Polizei sind kantonal unterschiedlich und somit auch ihre Erfahrungen. Kriminalpolizistin Fässler ist überzeugt, dass die Gesellschaft «keinen vernünftigen Umgang mit sexueller Gewalt erlangen kann, solange die Prostitution in dem Masse geduldet und erlaubt wird». Ginge es nach Fässler, würde der Kauf von sexuellen Dienstleistungen illegalisiert. Sie setzt sich auch politisch für ein Sexkaufverbot ein. In diesem so genannten «Nordischen Modell» machen sich nur diejenigen strafbar, die sexuelle Dienstleistungen gegen Entgelt in Anspruch nehmen, nicht die Prostituierten selbst.
«Wäre es für Sie ok, wenn Ihre Tochter Sexarbeiterin wäre»? (Magdalena Fässler)
Nach den drei Inpureferaten kommen die Expertinnen zur Podiumsdiskussion zusammen, die von Juristin und Journalistin Brigitte Hürlimann moderiert wird. Auch das Publikum stellt Fragen, hakt nach und ist sichtlich gefesselt. Souverän navigiert Hürlimann, die teilweise hitzige, aber immer respektvolle Diskussion, deren Funken besonders zwischen Angelini und Fässler entfachen. Einig sind sich alle drei Expertinnen darüber, dass Armut und prekäre Lebensumstände verantwortlich für Prostitution sind. Kriminalpolizistin Fässler will «die Ursachen in den Herkunftsländern bekämpfen» und verweist darauf, dass mit dem Weggang der Frauen aus ihren Heimatländern auch wichtige Ressourcen weggingen: «Die Frauen, die hierherkommen, fehlen dort!» ProCoRe-Geschäftsstellenleiterin Angelini pflichtet dem bei, wählt hingegen einen realpolitischen Ansatz. Die Möglichkeit der Einflussnahme auf soziopolitische Gegebenheiten oder die wirtschaftliche Situation in anderen Ländern sei beschränkt, Veränderungen passierten nicht von heute auf morgen. Hier in der Schweiz hingegen, gäbe es Gestaltungsmöglichkeiten.
Sexarbeit sei Ausdruck globaler Machverhältnisse bestätigt auch eine soziale Realität. «Die Frauen sind nun mal hier und brauchen Schutz». Einfache Lösunge wie das Nordische Modell würden nicht funktionieren, ist Angelini überzeugt. Die meisten Frauen, die in der Schweiz der Sexarbeit nachgehen, sind Migrantinnen. Was aus ihrer Sicht helfen würde, wäre ein Überdenken der Schweizer Migrations- und Arbeitsmarktpolitik. Viele Frauen sehen kaum Alternativen zur Prostitution, weil die Schweiz sehr restriktiv sei und es Einwandererinnen schwer mache.
«Was kann ich tun, als bloss nett im Vorbeigehen zu lächeln?» (Frage aus dem Publikum)
Das Publikum stellt viele Fragen. Die wichtigste an diesem Anlass für SKF-Einzelmitglieder ist wohl die Frage danach, was jede:r Einzelne tun könne. Allen sei klar, wie giftig sich das Stigma rund um das Thema Prostitution auf Sexarbeiter:innen auswirke. Es müsse doch mehr Möglichkeiten geben, als bei der Begegnung mit einer Prostituierten bloss freundlich zu lächeln, sagt eine Frau aus dem Publikum. Polizistin Fässler wünscht Frauen Mut auch in einer Beziehung oder in einer Ehe mit dem Partner über das Thema Prostitution zu sprechen. «Dabei wünsche ich Ihnen, zu den Gefühlen stehen zu können, die das Thema in Ihnen auslöst.» Fey betont die Bedeutung der Anerkennung von Kompetenzen. Wenn eine Frau sich dazu entscheide, der Sexarbeit den Rücken zu kehren, könnten künftige Arbeitgeber:innen Qualifikationen anerkennen, die in dieser Zeit erworben wurden, beispielsweise (Anm. d. Red.) soziale Kompetenz, Konfliktmanagement, Kenntnisse über sexuelle Gesundheit, Selbständigkeit, Flexibilität, Verhandlungsgeschick, Durchsetzungsfähigkeit, Disziplin und Einfühlungsvermögen. Angelini ruft Frauen dazu auf, ihre finanziellen Ressourcen in den Dienst von Fachpersonen zu stellen: «Spenden Sie an Organisationen, die sich gemeinsam mit Betroffenen für den Schutz von Frauen in der Prostitution einsetzen.»
Heisse Eisen bei kalten Getränken
Die rund 50 Teilnehmer:innen des SKF-Einzelmitgliederanlasses 2023 liessen es sich nicht nehmen, am anschliessenden Apéro weiter zu diskutieren. Brigitte Hürlimann blieb in ihrer Funktion als Moderatorin durchgehend neutral und sachlich. Beim Apéro teilt sie ihre persönlichen Gedanken. «Die Sexarbeiter:innen brauchen mehr Rechte und unseren Respekt. Nur so können sie sich vor Ausbeutung und Kriminalität schützen. Mit Verboten werden sie in den Untergrund und in eine vulnerable Situation gedrängt.» In vielen Gesprächen mit den Expertinnen, aber auch im Austausch untereinander, hallte vieles des Gehörten noch nach. Weil dieses Mal jedes Einzelmitglied eingeladen war, eine Begleitung mitzubringen, gab es nicht nur viel fröhliches Wiedersehen, sondern auch neue Begegnungen – und so manche neue Einzelmitgliedschaft beim SKF.
Was ist Prostitution?
In der Schweiz ist Prostitution seit 1942 legal und gilt seit 2021 nicht mehr als sittenwidrig, d.h. dass Verträge mit Sexarbeitenden nicht mehr als nichtig betrachtet werden und Prostituierte ihr Entgelt vor Gericht einklagen können. Die Schweiz zeichnet sich durch liberale Prostitutionsgesetze aus. Prostitution ist gesetzlich erlaubt, doch der Handlungsbedarf ist dennoch sehr gross. Grundlegend ist die Unterscheidung zwischen freiwilliger Prostitution im Sinne von Sexarbeit und erzwungener sexueller Ausbeutung im Sinne von Zwangsprostitution, Menschenhandel oder Sklaverei. Die Übergänge sind allerdings fliessend
Das Positionspapier des SKF
Der SKF spricht sich für den Schutz von Frauen in der Prostitution und für die Eindämmung von Risiken in der Prostitution aus. Der SKF ist gegen Kriminalisierung und gegen das Sexkaufverbot. Der SKF setzt sich für eine Welt ein, in der Prostitution keine Option sein muss. Der SKF setzt sich für die Entstigmatisierung der Prostitution ein. Der SKF spricht sich für Beratung und Unterstützung von Prostituierten aus. Zum Positionspapier
Rebecca Angelini
Rebecca Angelini ist Geschäftsleiterin von ProCoRe, dem nationalen Netzwerk zur Verteidigung der Interessen von Sexarbeitenden in der Schweiz. An der Uni Zürich erlangte Rebecca Angelini einen Master in Sozialwissenschaften und bildete sich anschliessend an der Uni Bern in Rechtswissenschaften weiter. 10 Jahre lang leitete sie als Mitglied der Geschäftsleitung die Organisation FIZ Fachstelle Frauenhandel und Migration.
Magdalena Fässler
Magdalena Fässler ist Kriminalpolizistin. Die ehemalige Pflegefachfrau hat mit 40 Jahren die Polizeischule absolviert. Seit 8 Jahren ist Magdalena Fässler bei der Kantonspolizei St. Gallen tätig. Sie ist Opferbefragerin und führt Kontrollen im Rotlichtmilieu durch. Die Mutter von vier erwachsenen Söhnen ist seit 2021 im Stadtparlament für die Grünliberale Partei und Parteipräsidentin. Die Politikerin hat Vorstösse im Bereich Prostitution eingereicht und Vorträge gehalten. Aktuell kandidiert Magdalena Fässler ich für die Nationalratswahlen für den Kanton St. Gallen.
Dr. Mira Fey
Dr. Mira Fey ist Politikwissenschaftlerin und Forscherin an der Haute école de travail social Genève (HETS). Als Wissenschaftlerin untersucht sie wie Gesetze und politische Entscheide sich auf die Lebenswelt der davon betroffenen Menschen auswirken, besonders in den Bereichen Geschlecht, Sexualität, Prostitution und Gesundheit. In ihrer Dissertation widmete sich Mira Fey den Themen Polizei, Prostitution und Politik. Mira Fey kommt aus der westdeutschen Stadt Remscheid, in der Nähe Düsseldorfs und lebt mit ihrer Ehefrau und Hund Sammy in Genf.
Brigitte Hürlimann
Brigitte Hürlimann ist promovierte Juristin und Journalistin, sie ist seit Jahrzehnten als Gerichtsreporterin tätig, seit fünf Jahren für das Magazin Republik. Sie hat an der Universität Freiburg Rechtswissenschaften studiert und ihre Studien 2004 mit einer Doktorarbeit über die rechtliche Situation der Prostituierten in der Schweiz abgeschlossen.
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