Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes
Der SKF beteiligt sich an der Vernehmlassung zur Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes; die eine Einschränkung der Sozialhilfeleistungen für Ausländerinnen und Ausländer aus Drittstaaten vorsieht. Der SKF lehnt die ersten zwei Punkte der Vorlage vollumfänglich und entschieden ab. Hingegen begrüsst er grundsätzlich die Gleichsetzung von Bildung und Erwerbstätigkeit bei der Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen an vorläufig Aufgenommene. Zudem begrüsst der SKF die Tatsache, dass der Bundesrat zumindest auf die ursprünglich vorgesehenen noch weitergehenden Einschränkungen der Sozialhilfe für Drittstaatsangehörige verzichtet.
Sehr geehrte Frau Bundesrätin,
Sehr geehrte Damen und Herren,
Wir danken Ihnen für die Möglichkeit, zu den Änderungen Stellung zu nehmen. Der SKF Schweizerischer Katholischer Frauenbund ist der Dachverband der katholischen Frauenorganisationen und vertritt rund 120'000 Frauen in der Schweiz.
Die Änderungen des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG) sehen drei Neuerungen vor: erstens einen tieferen Unterstützungsansatz für Drittstaatsangehörige bei der Sozialhilfe während den ersten drei Jahren nach Erteilung einer Kurzaufenthalts- oder Aufenthaltsbewilligung; zweitens die Ergänzung der Integrationskriterien im AIG, dass bei der Prüfung der Integration zusätzlich abgeklärt werden soll, ob Ausländer:innen die Integration von Familienangehörigen fördern und unterstützen; drittens soll für die Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen an vorläufig Aufgenommene die erfolgreiche Teilnahme an einer (beruflichen) Bildung der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gleichgestellt werden.
Der SKF lehnt die ersten zwei Punkte der Vorlage vollumfänglich und entschieden ab. Hingegen begrüsst er grundsätzlich die Gleichsetzung von Bildung und Erwerbstätigkeit bei der Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen an vorläufig Aufgenommene. Zudem begrüsst der SKF die Tatsache, dass der Bundesrat zumindest auf die ursprünglich vorgesehenen noch weitergehenden Einschränkungen der Sozialhilfe für Drittstaatsangehörige verzichtet.
1. Kommentar zu den wichtigsten Bestimmungen
1.1 Tieferer Sozialhilfeanspruch von Drittstaatsangehörigen mit Aufenthaltsbewilligung in den ersten 3 Jahren (Art. 38a VE-AIG)
Der SKF lehnt die hier vorgesehene Schlechterstellung von sozialhilfebeziehenden Drittstaatsangehörigen mit Aufenthaltsbewilligung in den ersten drei Jahren1 vollumfänglich ab. Die vorgeschlagene Gesetzesänderung geht vom Generalverdacht aus, dass Sozialhilfebezüger:innen nicht arbeiten wollen und darum mittels Kürzung dazu gezwungen werden müssen. Dies entspricht besonders bei den anvisierten Gruppen nicht den Tatsachen. Es geht hier einerseits um Personen, die bereits in der Schweiz leben und zuvor etwa eine vorläufige Aufnahme (F-Bewilligung) hatten und andererseits um Familien, die neu einen Familiennachzug gemacht haben. Bei beiden Personengruppen sind die Anforderungen an die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung (B) äusserst hoch. Bevor der Familiennachzug bewilligt wird, muss die gesuchstellende Person beweisen, dass sie genügend finanzielle Mittel hat, um für ihre Familie aufzukommen. Für Personen in prekären Arbeitsverhältnissen stellt dies jedoch eine hohe Hürde dar. Die Vorlage wird vor allem viele Familien, Alleinerziehende und somit auch Kinder und Jugendliche betreffen. Diese zusätzlichen Verschärfungen widersprechen dem Kindeswohl gemäss Art. 3 KRK und dem Recht auf Entwicklung.
Die Vorstellung, mittels Kürzung der Sozialhilfe eine bessere Integration der Betroffenen zu fördern, ist weltfremd und zynisch. Denn wer in finanzielle Not gerät, hat einen Grund dafür, z.B. Stellenverlust, Unfall, Krankheit, Krankheit eines Kindes oder fehlende Betreuung der Kinder bei Schichtarbeit. Mit der geplanten Kürzung der Sozialhilfe wird die wirtschaftliche Integration der Betroffenen noch zusätzlich erschwert. Dies wirkt nicht wie vorgegeben als Anreiz für eine bessere Integration in den Arbeitsmarkt2, sondern bestraft Menschen, die unverschuldet in eine persönliche Notlage geraten sind oder unter prekären Bedingungen arbeiten müssen und nicht genug für ihren Lebensunterhalt verdienen. Im erläuternden Bericht selbst steht, dass nicht untersucht wurde, inwiefern sich ein tieferer Unterstützungsansatz auf die Integration und die Dauer des Bezugs auswirkt. Dabei ist es klar, dass die Kürzung der Sozialhilfe für Betroffene zusätzlichen Stress bedeutet und es für sie noch schwieriger wird, aus ihrer Situation wieder herauszukommen. Dies läuft dem ausländerpolitischen Ziel der raschen Integration entgegen.
Für asylsuchende und vorläufig aufgenommene Personen liegt der Ansatz der Asylsozialhilfe bzw. Sozialhilfe schon heute unter dem ordentlichen Sozialhilfe-Ansatz für Schweizer:innen und anerkannte Flüchtlinge. Es ist äusserst problematisch, dass diese Prekarität nun auf weitere Personengruppen ausgedehnt werden soll. Mit tieferen Sozialhilfe-Ansätzen leben die betroffenen Personen unter dem Existenzminimum und somit unter prekären Bedingungen. Denn bereits der Grundbedarf der ordentlichen Sozialhilfe gemäss SKOS ist sehr knapp bemessen; Zweck der Sozialhilfe ist die materielle Existenzsicherung. Und schliesslich sind die Lebenshaltungskosten für Menschen ohne Schweizer Pass nicht tiefer als für Schweizer:innen.
Bereits heute beziehen viele Personen ohne Schweizer Pass, die eigentlich das Recht auf Sozialhilfe hätten, keine Sozialhilfe – aus Angst vor ausländerrechtlichen Konsequenzen. Diese Personen sind angewiesen auf Unterstützung von Bekannten, Verwandten oder gemeinnützigen Organisationen und verschulden sich. Dadurch wird eine Zweiklassengesellschaft geschaffen, mit all den negativen Konsequenzen für die Betroffenen, aber auch für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Das Sparpotential der vorliegenden Vorlage ist äusserst gering. Für Gemeinden und Kantonen bedeuten die Verschärfungen einen hohen administrativen Aufwand, der in keinem Verhältnis zur geringen Anzahl Betroffenen und dem vermuteten Sparpotential steht. Zudem geht es um sehr wenige Fälle. Nur ca. 4-5% der neu Einreisenden haben in den ersten drei Jahren nach Erteilung der Bewilligung Sozialhilfe bezogen. Die vorgeschlagene Änderung hat also keine grosse praktische Wirkung.
Die Gesetzesänderung ist unnötig, denn das Mittel der Kürzung existiert bereits im Sozialhilferecht. Bei Personen, die ihrer Schadenminderungspflicht nicht nachkommen, können Sozialhilfeleistungen gekürzt werden. In diesen Fällen findet eine Einzelfallprüfung statt. Bei der vorliegenden Gesetzesänderung ist aber die obligatorische Einzelfallprüfung nicht vorgesehen. Wenn der Bund über das AIG bei einer ganzen Gruppe von Betroffenen Kürzungen vornimmt, ohne im Einzelfall zu überprüfen, ob die Massnahme berechtigt ist, verletzt dies das Prinzip der Verhältnismässigkeit.
Der SKF fordert den gänzlichen Verzicht auf die Einführung von Art. 38a AIG.
1.2 Berücksichtigung der Unterstützung der Integration von Ehegatt:innen und minderjährigen Kindern beim Entscheid über den Aufenthaltsstatus (Art. 58a Abs. 1 lit. e VE-AIG)
Der SKF lehnt eine solche Berücksichtigung der Integrationsunterstützung bei Entscheiden über den Aufenthaltsstatus der betroffenen Ausländer:innen grundsätzlich ab. Es liegt im ureigensten Interesse der betroffenen Ausländer:innen, sich für die Integration ihrer Ehegatt:innen und minderjährigen Kinder einzusetzen. Hinter dieser neuen Bestimmung steht aber der Generalverdacht, dass sich die betroffenen Ausländer:innen in diesem Bereich zu wenig engagieren. Den Behörden wird damit eine zusätzliche Handhabe gegeben, ein vermeintlich mangelhaftes Engagement bei einem Entscheid über den Aufenthaltsstatus zulasten der betroffenen Ausländer:innen zu berücksichtigen.
Unklar ist, wie dieses Kriterium in der Praxis konkret gestaltet und überprüft werden soll, ohne in die Privatsphäre der Betroffenen einzugreifen. Dasselbe Kriterium ist heute bereits im Bürgerrechtsgesetz verankert (Art. 12 Abs. 1 lit. e BüG). Auch im Bürgerrecht ist unklar, wie dieses Kriterium in der Praxis angewendet wird.
Statt auf die Prinzipien der Integrationsagenda zu setzen, will der Gesetzgeber weitere bestrafende Instrumente einführen, obwohl diese eher einschüchternd als integrierend wirken. Dies ist widersprüchlich, nicht zielführend und dient weder den Migrant:innen selbst noch der Aufnahmegesellschaft. Um das Ziel einer besseren
Erwerbsintegration von Drittstaatsangehörigen zu erreichen, sollen besser geeignete Massnahmen umgesetzt werden, z.B. die im erläuternden Bericht erwähnte Integrationsvorlehre INVOL8 oder die Anerkennung ausländischer Diplome. Mit diesem Artikel wird zudem ein neuer Rückstufungsgrund geschaffen. Bei Paaren, die das traditionelle Familienmodell gelebt haben, ist plötzlich eine Rückstufung denkbar, selbst wenn sie keine Sozialhilfe in Anspruch nehmen und auch sonst kein Integrationskriterium verletzt ist.
Mit dieser Gesetzesänderung wird von Migrant:innen eine Verantwortung erwartet, die von Schweizer:innen nicht verlangt werden kann. Denn kein:e Schweizer:in wird dafür bestraft, wenn er:sie nicht die Integration des/der Partner:in erzwingt.
Der SKF fordert den gänzlichen Verzicht auf die Einführung von Art. 58a Abs. 1 lit. e VE-AIG.
1.3 Präzisierung der Integrationsvoraussetzungen für die Erteilung von
Aufenthaltsbewilligungen an vorläufig Aufgenommene in Härtefällen
Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung in Härtefällen an vorläufig Aufgenommene sollen konkretisiert werden (Art. 84 Abs. 5 AIG). Gemäss dem erläuternden Bericht ändert er grundsätzlich nichts an der heutigen Rechtslage, führt aber bei den Vollzugsbehörden zu mehr Klarheit bei der Rechtsanwendung. Das Integrationskriterium der Teilnahme an einer (beruflichen) Bildung soll demjenigen der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gleichgestellt sein. Der SKF begrüsst dies als grundsätzlich positiv.
Die Gleichstellung der Teilnahme an Bildung und Erwerbstätigkeit ermöglicht es vorläufig Aufgenommenen, ihren Bildungsweg fortzuführen und nicht zugunsten einer Sozialhilfeunabhängigkeit darauf zu verzichten. Bislang wird zu viel Gewicht auf Sozialhilfeunabhängigkeit durch Erwerbstätigkeit gelegt und zu wenig auf eine volkswirtschaftlich und persönlich nachhaltige Integration durch Bildung gesetzt.
Der SKF begrüsst folglich die Präzisierung der Integrationsvoraussetzungen.
1.4 Übergangsbestimmung zur Änderung vom […] (Art. 126e)
Der SKF ist nicht einverstanden mit den Anpassungen der Übergangsbestimmungen in Art.126 AIG und beantragt für Art. 126e folgende Änderung:
Die Kürzung der Sozialhilfeleistungen gemäss Art. 38a gilt nur für Personen, die nach dem Inkrafttreten des Art. 38a in die Schweiz eingereist sind bzw. denen erst nach Inkrafttreten des Art. 38a die Kurzaufenthalts- oder Aufenthaltsbewilligung erteilt wurde.
Wir betonen noch einmal mit Nachdruck, dass mit den vorgesehenen Verschärfungen des AIG auf Kosten von Menschen gespart werden soll, deren Situation ohnehin schon prekär ist und teilweise durch die Corona-Pandemie noch verschlimmert wurde. Sollten die Kürzungen trotzdem angenommen werden, dann sollen sie nur jene Drittstaatsangehörige betreffen, denen nach dem Inkrafttreten der Änderungen die Kurzaufenthalts- oder Aufenthaltsbewilligung erteilt wird. Es widerspricht Treu und Glauben, dass die neuen Bestimmungen dann plötzlich für Personen gelten sollen, die bisher von einer anderen Rechtslage ausgegangen sind.
Aufgrund der oben ausgeführten Gründe sprechen wir uns gegen die Vorlage aus. Der Verbandsvorstand des SKF dankt Ihnen für die Berücksichtigung unserer Stellungnahme.
SKF Schweizerischer Katholischer Frauenbund
Freundliche Grüsse
Simone Curau-Aepli Karin Ottiger
Präsidentin Co-Geschäftsleiterin
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